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(Ent-)Hemmung bei Lacan

Andreas Spohn

Lacan, oft verschrien als bis ins Absurde hinein intellek­tualisierend, kann nachgerade als Theoretiker des Affekts aufgefasst werden. Seine unorthodoxe Weiterführung von Freuds Dreifaltigkeit «Hemmung–Symp­tom– Angst» entwickelt zunächst ein um sechs weitere Haltungen erweiter­tes Diagnoseschema, das Patienten anhand typischer Angstvermeidungsmuster einschätzt. Hemmung bedeutet dabei motorischer, aber auch emotionaler Still­stand und hat am wenigsten Witz. Lacan korrigiert, dass die zu Freuds Zeitalter Gehemmten heute eher die «Verhinderten» seien, die «begehren, nicht zu können». Später behauptet er, dass Hemmung auftrete, wenn Bildhaftes zu sehr den Ablauf von Assoziationsketten störe. Heute ist Lacan vor allem mit der Bestimmung des Zeitgeistes als auferlegtem (und damit gehemmtem) Genuss aktuell. Immer wie­der wird er von Kulturphilosophen als Stichwortgeber aufgerufen, wo sie nach­vollziehen möchten, warum das Zeitalter des Gottestodes bzw. der Befreiung von Tabus paradoxerweise mit noch mehr Über­Ich­Strenge einhergeht. Lacan ist eher skeptisch, was Möglichkeiten einer wahrhaft befreienden Enthemmung angeht.