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Kalender

Frühe Weichenstellungen für Fehlentwicklungen der psychoanalytischen Praxis

Kursdatum
11.11.2022 20:30 - 22:00
Ort
PSZ
Semester
Wintersemester 2022/23
Referent:in
Ulrike May
Moderation
Thomas Kurz

Beschreibung

Seit sich in den beiden Jahrzehnten vor und nach der Jahrhundertwende Kollegen um Freud scharten, die sich für die neue Behandlungsmethode, die "Psychoanalyse", interessierten, gab es unterschiedliche Modi der Therapie. Wie man publizierten Analyseberichten entnehmen kann, arbeitete, um es zugespitzt auszudrücken, von Anfang an jeder Analytiker anders. Das änderte sich auch im folgenden Jahrzehnt (1910–1920) nicht, nachdem Freud in Publikationen, die zwischen 1912 und 1914 erschienen waren, dargestellt hatte, wie er zu behandeln empfahl.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wuchs das Interesse an der Freudschen Behandlungsmethode stark an, die Psychoanalyse wurde ein Beruf, den man in Ausbildungsinstituten, die zwischen 1920 und 1930 in Berlin, Wien und London gegründet wurden, erlernen konnte. Dadurch wurde die Frage nach der "richtigen" Psychoanalyse noch einmal dringlicher. Die Institute mussten Antworten entwickeln. Der Zugang zur Ausbildung und ihre Durchführung wurden, soweit es möglich war, in Statuten reguliert. Gleichwohl gab es unter dem Dach der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung weiterhin unterschiedliche Techniken und erste dokumentierte Auseinandersetzungen darüber.

Diese frühen, zwischen 1920 und 1930 geführten und bisher noch wenig erforschten Debatten sind von großem Interesse. Sie sind bisher in Darstellungen der Geschichte der psychoanalytischen Technik noch kaum gewürdigt worden. Man findet in ihnen die Anfänge später entstandener Schulen und die Anfänge von Entwicklungen der Technik, die hier als "Fehlentwicklungen" bezeichnet werden, eine Qualifizierung, die sicher noch der Diskussion bedarf. Zu den Fehlentwicklungen wird beispielsweise die sogenannte "Blitzdeutung" gezählt oder die Überbetonung der Übertragung, die Einengung auf die negative Übertragung, die Fixierung auf den Widerstand, das Negieren der Gegenübertragung, die übermässige Verwendung der Symboldeutung usw.

Beteiligt an den frühen Diskussionen waren, wie im Vortrag gezeigt wird, bereits 1919/1920 Abraham und Ferenczi mit ihrem so unterschiedlichen Verständnis der Analyse; Hanns Sachs, der bisher noch nicht als Beteiligter an der Technik-Debatte gesehen wurde; Melanie Klein mit ihrer eigenen Herangehensweise; oder Edward Glover, dessen extreme Position in Bezug auf die Technik in den 1920er Jahren bisher ebenfalls noch wenig gewürdigt wurde.

Das Nachdenken über unsere analytische Technik ist auch heute noch mit starken Affekten verbunden. Es ist schwer, die Diversität zu ertragen, und wir wissen oft nicht, ob es sich im gegebenen Fall um einen "anderen" Standpunkt oder eine "Fehlentwicklung" handelt. Oder wissen wir es doch? Woran knüpft sich unsere Einschätzung, worauf stützt sie sich, inwiefern ist auch sie historisch bedingt?

Moderation: Thomas Kurz

Ulrike May ist Psychoanalytikerin in Berlin und Autorin von »Freuds frühe klinische Theorie (1894- 1896). Wiederentdeckung und Rekonstruktion« (1996) sowie (zusammen mit Elke Mühlleitner) von »Edith Jacobson. Sie selbst und die Welt ihrer Objekte« (2005). May hat zahlreiche Arbeiten zur Entstehung der psychoanalytischen Theorie und Praxis veröffentlicht (siehe www.may-schroeter.de) und, zusammen mit Michael Schröter, die bislang unbekannte Erstfassung von Freuds »Jenseits des Lustprinzips« (2015) herausgegeben. Einige ihrer Arbeiten sind im Sammelband «Freud bei der Arbeit« (2015, Verlag Psychosozial) enthalten. Demnächst wird "Wir blicken tiefer als Freud. Der Abschied vom Primat des Sexuellen zwischen 1920 und 1925 in Berlin und Wien" im Verlag Psychosozial erscheinen.

Anhänge
221111 May PSZ Vortrag Abstract.pdf [251.17Kb]
Hochgeladen Donnerstag, 13. Oktober 2022 von 874

Datum

11.11.2022 20:30 - 22:00

Standortinformationen

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Quellenstrasse 25
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